Törnbericht von der Englandreise

von Nicola Möckli (Kommentare: 0)

Vielen Dank an Thanh für den super spannenden Reisebericht!

Aufbruch zu einem Abenteuer

Was tun, wenn die Reisebedingungen endlich fast normal sind und den Leidenschaften wieder nachgegangen werden kann? Auf ein Segelabenteuer aufbrechen natürlich! Fast normal ist hier das Stichwort: Eingeschränkt durch die administrativen Bedingungen, taten die Skipper Lukas und Laura das Beste, daraus eine Route zu kreieren – so etwa, wie es das Ziel beim Ravensburger Spiel ”Zug um Zug” der Fall ist. Die gezogene Zielkarte lautete England, das Land auf der anderen Seite des Ärmelkanals, weit ab von dem durch Schleusen geschützten Ijsselmeer. Und wer könnte dafür besser geeignet sein, als eine top-motivierte sieben-köpfige Crew, die aus einer Mischung aus zertifizierten Skippern bis hin zu Segeltouristen wohl jeden Grad an Erfahrung aufwies und als einzigen gemeinsamen Punkt das Abenteuer auf See hat? So trafen wir, Colin, Ella, Fabian, Laura, Lukas, Moritz und Thanh, uns am 14.08.2021 am Ausgangsort auf der Vellamo in Lelystad, Niederlande.

 

Lelystad-Den Oever: Bekanntschaft mit Mensch und Boot

Nachdem der Katamaran mit Proviant ausgestattet wurde und die Boots- und Sicherheitseinweisung duchlaufen war, ging es endlich los. Auf der ersten Etappe freundeten wir uns mit Crew und Katamaran an, die Segeltouristen lernten im Crashkurs welche Schoten welche Segel ziehen und wo das Back- und Steuerbord noch zu finden war, nach dem man sich 180° um die eigene Achse drehte. Nach der 5-stündigen Segelfahrt in prahlender Sonne und unter dem gerefften Grosssegel und Fock, richtiges ”Champagnersegeln”, erreichten wir am frühen Abend Den Oever. Den darauf folgenden Sturm sassen wir aus. Nichtsdestotrotz war der Tag produktiv: Nach einem reichhaltigen Frühstück am Bord planten die geübten Segler die Überfahrt, während die Unerfahrenen erst noch Lassoing übten (Leinen werfen nach Seemanns Art und nicht wie ein Cowboy, trotz der Namenverwandtschaft), um den Katamaran an einem Steg zu belegen. Dies sollte an Vorbereitung wohl für die Überfahrt nach England reichen. Wir genossen die ruhige Nacht, welche die Letzte für viele Tage sein werden würde.

 

 

Den Oever-Brightlingsea: Stugeron und was das Herz begehrt

Um den nächsten Mittag herum stand die Strömung ausserhalb des Ijsselmeers bestmöglich, um auszulaufen. Wie im Textbuch durchfuhren wir die Stevinsluizen, die erste Schleuse unserer Reise, raus in die ungezähmte Waddenzee. Im Schichtbetrieb über die folgenden 40 Stunden sollten wir die Nordsee überqueren. Aber kaum waren wir in der Waddenzee, wurden wir von der Küstenwache abgefangen. Human trafficking control. So freundlich die niederländische Küstenwache doch war, so persistent war sie den Katamaran zu durchlaufen, unsere Ausweise zu überprüfen und gar diejenigen zu Gesicht zu bekommen, die sich für die kommende Nachtschicht bereits zu Bett gelegt hatten. Abgesehen von den Robben auf der niederländischen Insel Texel und anderen Tieren, begegneten wir aber niemandem mehr. Und so durchliefen wir am späten Abend den Engpass bei Den Helder raus in die Nordsee. Jeglichen Schutz, den die friesischen Inseln zuvor boten, war uns nun verweigert. Amwind und bei ungezähmt stürmischen 2m-hohen Wellen segelten wir uns mit ein paar Regengüssen erschwert meertauglich (Stugeron sei Dank); wie sonst könnte man die Überfahrt als ein Abenteuer bezeichnen, wenn nicht unter solchen Bedingungen? Dafür wurden wir anderweitig belohnt. Die vier TSSs (trafic separation scheme, sozusagen die Autobahn auf See), vor der wir insbesondere hohen Respekt hatten, waren ohne Vorkommnisse überquert. Mitten in der Nacht schienen sie nahezu leer zu sein und die grossen Frachter kamen höchstens auf eine halbe Nautische Meile nahe, bevor sich unsere Wege wieder trennten. Ansonsten war man v.a. als Rudergast am Steuerstand gesichert und mit der zuvor neu konfigurierten Schwimmweste ausgestattet, falls ein Frachter uns übersehen sollte. Trotz den Wellen genossen wir die Sicht auf eine strahlende Milchstrasse, während dem wir uns zwischen den leuchtenden Frachtern Richtung England navigierten. Unser Ziel: Brightlingsea, der einzige Hafen an der Südostküste Englands, der uns wegen des Coronarisikos aufnehmen wollte. Und schon brach der Abend an, an dem wieder Land in Sicht war. Die Sonne senkte sich im schönsten Rot hinter den weissen Klippen von Margate wenig nördlich von Brightlingsea, und Delfine und Vögel begrüssten uns. Bei diesem Anblick und einer selbst-gemachten fantastischen Pizza war jegliche Übelkeit und Müdigkeit wie im Nu verschwunden. Zudem begleiteten uns durch die Nacht fast bis in den Hafen hinein blau-lumineszierende Planktons. In der Früh belegten wir erschöpft aber glücklich nach 40 Stunden Überfahrt unser Katamaran.

 

Noch in Brightlingsea: Die Flucht zurück zum Festland

Nach dem der Katamaran wieder hergerichtet und wir uns nochmals für ein paar Stunden in die Kojen legten, war Fish&Chips, gegrilltes Ofengemüse und Bier im Pub angesagt! Die Reise, die wir dafür auf uns nahmen, war es auf jeden Fall wert! Noch nicht mal ganz ausgeruht, war aber schon Krisensitzung angesagt: ”To Go or not to go” und wenn das nicht schon alles wäre, where to go anyways? Der Wind stand gerade günstig, bevor er kehren würde und wir wieder Amwind weitersegeln müssten. Sollten wir der englischen Küste hoch Richtung Norden oder aber über den Ärmelkanal nach Frankreich? Oder anders: Würden wir eine Whiskey Degustation und anschliessende Corona-Quarantäne oder Dunkerque mit Moules&Frites und rechtlich quarantänefreies Weitersegeln präferieren? Wir entschieden uns für die Weiterfahrt mit Moules&Frites als Belohnung. Also füllten wir ganz schnell unsere Wassertank auf, sendeten die Coronatests (ach ja, diese Einreisebedingungen...) ein und brachen fluchtartig wieder auf das offene Meer auf, gerade Mal 15 Stunden nach Ankunft. Man könnte meinen, wir wären nur für Fish&Chips schnell nach England gesegelt.

 

Brightlingsea-Dunkerque: Navigieren durch die Untiefen

Die Überfahrt über den Ärmelkanal war mit dem günstigen Halbwind entspannter, die Wellen etwas ruhiger, doch dafür war die Milchstrasse hinter den Wolken verschwunden. Die Untiefen entlang der Küste waren schnell hinter uns gebracht. Am nächsten Nachmittag nach kurzen 14 Stunden Fahrt sichteten wir die Küste Dunkerques: Wir waren zurück an der kontinentalen Küste, wo die Delfine uns schon erwarteten. Zeit um sich auszuruhen. Schlaf, Moules&Frites und ein kleiner Spaziergang an der Strandpromenade liessen den Abend gemütlich ausklingen.

 

Zum klassichen Ausbildungstörn: Dunkerque-Amsterdam

Die Überfahrten waren so was wie ein Trailer eines abenteuerlichen Films: In kurzer Zeit waren so viele actionsreiche Erlebnisse gepackt wie nur möglich - eine perfekte Werbung fürs Segeln. Genau eine Woche nach Aufbruch begann dann der eher klassischere ”Ausbildungstörn”: Dunkerque-Amsterdam-Enkhuizen-Oudenschild-Makuum-Medemblik-Lelystad. Sowohl Hauptskipper als auch Tagesskipper, Navigator und Rudergast wurden gewechselt und gezielter trainiert. Die erste Etappe war sogleich die Längste, doch den Schichtbetrieb kannten wir ja bereits. Unter dem Code 0 und fantastischem Wind entronnen wir gekonnt dem anfänglich strömenden Regen zurück in die Sonne. Auch diese Etappe war erlebnisreich. Noch bei Nacht segelten wir vor der Rotterdam-Passage entlang und orientierten uns an einen Ankerfeld von etwa zehn 200m-langen leuchtenden Frachtern schön in Reih und Glied: Goodies, die auf dem Weg nach Europa waren. Unsere höchste Aufmerksamkeitsstufe wurde schnell zurückgeholt. Die Küstenwache war wieder da. Diesmal aber mit dem grossen Patrouillenboot, anstelle des Gummiboots. Aus der Ferne konnten wir die Aufschrift des Guardians nicht ausmachen, weshalb es aus deren Sicht wohl so aussah, als versuchten wir ihnen mit bester Fähigkeit und unseren geschicktesten Manövern zu entrinnen. Nach einer Weile schien es aber aussichtlos, dem monströsen Motorgefährten zu entkommen, und wir funkten das Schiff an. Mit sehr viel Diplomatie (und darauf folgenden administrativen Abklärungen) meisterten wir aber auch dies, und die Küstenwache liess uns mit einem lauten Signalton und Gewinke davon segeln. Und dank der Funkübung bekamen wir kurze Zeit später die Überquerung der Rotterdam-Einfahrt vom Wachtturm genehmigt, über die wir uns mit Motor unterstützt, beeilten – wir wollen ja die Fracht nicht aufhalten. Kurze Zeit später bogen wir in die Einfahrt bei Ijmuiden ein und erreichten am Sonntagabend, 30 Stunden nach Abfahrt, Amsterdam. Als wären alle aus den Sommerferien zurück, waren alle Häfen ausgebucht. Zum Glück fanden wir aber doch noch ein Plätzchen – und das an der  luxuriösen City Marina im Herzen Amsterdams. Was für eine Belohnung für uns VIPs!

 

Amsterdam-Enkhuisen: Der Ursprung der Galionsfigur

Durch die Oranjesluizen und unter der Drehbrücke Schellingwoude waren wir zurück im geschützten Markermeer und kreuzten nun Amwind bei blauem Himmel und Sonne hinauf nach Enkhuizen. Auf dieser Etappe war die traditionelle Navigation angesagt, denn die digitale Navigation ”fiel ganz plötzlich aus”. Wir waren bestimmt noch nie so bestrebt Kirchen aufzusuchen, um uns orientieren zu können. Bojen anzutreffen war ein wahres Glücksgefühl. Plötzlich, wie aus dem nichts, war eine giftgrüne Spezies im Meer zu sehen. Keine Alge oder was Baumiges was man sonst schon sah und beinahe überfahren hatte. Es konnte fliegen, war aber kein Vogel. Es war auf jeden Fall ein Tier. Ein aufblasbares Krokodil! Um dem Ausbildungstörn gerecht zu werden, übten wir gleich ein Person-über-Bord-Manöver. In was bestimmt Rekordzeit eines POB-Manövers für ein fliegendes Plastiktier war (”Menschen sind etwas träger und fliegen nicht davon” so wurde gesagt), fischten wir Vellamos Galionsfigur heraus. Für diese umweltfreundliche Tat wurden wir gleich nochmals belohnt. Am Abend stieg der Vollmond erst gräulich-schwarz auf, bis er im tiefen Blutrot am Himmel hing. Obwohl kein spezieller Vollmond zu erwarten war, war er sicher einer der Schönsten. Auch die Schleusendurchfahrt sollte nicht zu kurz kommen: Durch die Naviduct Krabbersgatsluizen ging es ins wohlgesonnene Ijsselmeer in den Hafen hinein.

 

Enkhuizen-Oudenschild: Déjà-Vue

Zugegeben, v.a. die Segeltouristen sammelten enorm an Erfahrung. Um somit auch die ersten Tage auf dem Katamaran in Erinnerung halten zu können und zu verstehen was wir taten (oder eben nicht), mussten wir diese wiederholen – Übung macht ja bekanntlich die Meisterin. Also wieder durch die Stevinsluizen heraus in die Waddenzee um noch etwas mehr Navigation unter den Gezeiten zu üben, bei hohen Wellen zu steuern und den Wind in den Haaren zu spüren. Am folgenden Tag sollte es dann erst am Mittag losgehen, was einige nutzten, um mit dem Tandem die Insel zu erkundigen.

Oudenschild-Makuum: Die Katamaranbox

Durch die Bojen eigentlich gut geleitet, folgten wir dem Texelstrom durch die Untiefen gegen Südosten nach Makkum zurück ins Ijsselmeer. Um aber auch den Skippern eine neue Herausforderung zu geben, legten wir (zugegeben nicht ganz gewollt) in Makuum in eine Katamaranbox an – Die Königsdisziplin aller Manöver. Hier und da war es etwas zu eng und der Wind erleichterte das Einparken auch nicht. Die Herausforderung war etwa so vergleichbar, wie das erste Einparken in der Tiefgarage als Neulenker im Auto. Auch das war dann geschafft! Ein gutes Abendessen und einen Duschgang in den Brunnen später (auch dies sehr ungewollt), schliefen wir mit der Hoffnung, dass die Ausfahrt aus der Katamaranbox etwas leichter sein würde. Und siehe da, abgesehen davon, dass wir unser Dinghy und das Zubehör zusammenfischen mussten, kamen wir im ersten Versuch heraus.

Makuum-Medemblik: Mit Elsa und Paul Champagnersegeln

Was stand noch auf dem Ausbildungsprogramm? POBs! Nachdem wir Elsa, einen unserer Bootsfender, bereits am ersten Tag erfolgreich geretten hatten, war nun Paul, ein 75kg-schwerer kopfloser Dummy, an der Reihe. Bis der Reflex einsetzten würde, kommandierte jedes Crewmitglied die Rettung von Paul. Unglaublich, wie schnell Paul hinter den Wellen verschwinden konnte, im Gegensatz zu Elsa, die auf den Wellen schwamm, oder das Krokodil, das bei jedem Lüftchen sich schwebend zeigte! Das Wetter war sehr sonnig und der Wind nahm an Knoten zu, sodass wir kurz vor unserem Ziel in Medemblik noch richtig sportlich segeln konnten. Vellamo so ausgerichtet, dass der Wind maximal genutzen werden konnte, versuchten wir die Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Wir haben den Vereinsrekord zwar nicht gebrochen, doch gute 11.6kn Geschwindigkeit hinbekommen! Als wir langsam müde wurden, legten wir im Päckchen, nochmals ein anderes Bootsmanöver, im Hafen an und genossen eine Pizza vom Italiener nebenan.

 

Medemblik-Lelystad: Der Katamaran zum Heimathafen, Mensch zum Heimatland

Wie die grössten Segel-vernarrten, holten wir aus dem Katamaran und uns noch raus, was wir konnten. Klare Fronten waren auf unserer Route zu sehen, und obwohl wir dem starken Regen teils entrinnen konnten, waren die Stürme gewaltig. Bei maximalen Böen von bis zu 36kn und somit gerefften Segeln erreichten wir am Nachmittag unseren Heimathafen in Lelystad, wo sich die Crew nach dem Putzen des Bootes langsam auflöste und Richtung Alltag zurückkehrte.

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